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Glosse zur Entscheidung des OGH 9 Ob 19/22t (Pflegeelternschaft und Obsorge – Sonderfragen)

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Wir waren am Verfahren beteiligt und haben unsere Mandantschaft vor dem Obersten Gerichtshof obsiegt.

Der OGH äußert sich, soweit überschaubar, erstmals zur Frage, wer den Aufenthaltsort des Kindes bestimmt, wenn die Obsorge dem KJHT obliegt und Pflegeeltern mit der Pflege und der Erziehung betraut wurden1 (vgl. § 18 ff B-KJHG).

Gegenständlich leben die Pflegeeltern getrennt, behielten aber unverändert jeweils die (geteilte) Pflegeelternschaft. Nähere Feststellungen dazu erschienen dem 9. Senat nicht relevant. Da der/dem Obsorgeberechtigten das alleinige Recht zukomme, den Aufenthaltsort zu bestimmen, folgert der OGH „unkompliziert“, dass in der hier zu lösenden Konstellation, ohnehin der KJHT allein dafür zuständig sei.

In der Legaldefinition des § 158 ABGB wird zwischen der gesetzlichen „Vertretungsmacht“ und den einzelnen inhaltlichen Bereichen der Obsorge differenziert (Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung, andere Angelegenheiten); § 160 ABGB bestimmt die Pflege und Erziehung näher.

Praktisch gesehen übt der KJHT in aller Regel (nur) eine begleitende Kontrolle aus. Die Pflegeeltern bestreiten den Alltag, suchen z.B.: die Schule aus und setzen dabei die notwendigen Vertretungshandlungen. Die „Aufteilung“ zwischen dem KJHT einerseits und den Pflegeeltern andererseits, ist daher mE mit einer Art „gemeinsamer Obsorge“ zu vergleichen:

§ 162 Abs. 1 1. Satz ABGB nimmt konkret Bezug auf die Erfordernisse der Pflege und Erziehung und ermöglicht iVm mit § 158 Abs. 1 letzter Halbsatz ABGB diese Auslegung. Die letztzitierte Gesetzesbestimmung geht nämlich zu Recht davon aus, dass der Ausübung der Pflege und Erziehung stets auch eine korrespondierende Vertretungsmacht innewohnt (wenn auch ein „Minus“ im Vergleich zur Gesamtobsorge).

Auch wenn der KJHT aus der Schnittmenge der gesamten Obsorge (nur) den Teilbereich Pflege und Erziehung weitergibt, erscheint es mE sachgerechter, dass auch die Pflegeeltern in das Gestaltungsrecht einbezogen werden.

Die Pflegeeltern werden üblicherweise „an einem Strang ziehen“; gegenständlich stritten die Pflegeeltern über den möglichen künftigen Aufenthalt wegen berufsbedingter Umzugspläne der Pflegemutter ins europäische Ausland. Das Gericht wurde vom Pflegevater präventiv angerufen, wiewohl gar keine Zustimmung des KJHT zu einem Umzug vorgelegen war. In Ermangelung dieser Zustimmung, bedurfte es keiner der beantragten Maßnahmen nach § 107 Abs 3 Außerstreitgesetz. Der Pflegevater beantragte (überschießend), sowohl dem KJHT als auch der Pflegemutter aufzutragen, den Wohnsitz des Kindes nicht von Wien wegzuverlegen. Ungeklärt blieb die Frage, wer der Adressat einer derartigen (in concreto nicht gebotenen) Anordnung wäre. Wenn die Pflegemutter nach der Logik der Entscheidung kein Recht auf Aufenthaltsbestimmung hat, bedarf es wohl auch keiner Anordnungen, die ein nicht vorhandenes Gestaltungsrecht beschneiden würde. Der OGH deutet dem hingegen pragmatisch an, dass das anders gesehen werden könnte, wenn es konkrete Hinweise gebe, dass ein Pflegeelternteil gegen das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung 1988 igF verstoßen werde.

Fußnoten

1) Vom Pflegeeltern begriff des B-KJHG sind Pflegeeltern zu unterscheiden, die auch Obsorgeträger sind (§ 184 ff ABGB). Dazu Deixl-Hübner, Handbuch Familienrecht2, 561.

Volltext der Entscheidung OGH 9 Ob 19/22t im RIS ansehen
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