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Sicherstellungen von und Verfügungen über Guthaben auf Bankkonten durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren

Fachexpertise, Kommentare und Publikationen

Die Sperre von Kontoguthaben durch Sicherstellungsanordnungen der Staatsanwaltschaft und / oder Beschlagnahme des Gerichts sind in der Praxis ganz wesentliche Opferschutzmaßnahmen, um zu verhindern, dass Geldmittel aus Straftaten „verschwinden“. De lege lata sind die Rechtsgrundlagen hierfür rudimentär. Zudem besteht nur eine überschaubare Anzahl von Judikaten. Die damit verbundenen Rechtsprobleme, insb für das kontoführende Institut, werden hier dogmatisch abgehandelt.

A. Rechtsgrundlagen der staatsanwaltschaftlichen Sicherstellungsanordnung

Diese Anordnung (gem § 102 StPO) sei eine „Rechtsform sui generis“ und kein Verwaltungsakt (Bescheid) nach dem AVG, wobei die Rechtsform in der StPO begründet und ausgestaltet werde (so die Regierungsvorlage). Allein daran sieht man, dass es problematisch ist, exakte Auslegungsregeln zu finden, da die Regelungen in der StPO kurz und alles andere als „maßgeschneidert“ für Konto-Einfrierungen sind.

Ist weder Gefahr im Verzug noch ein anderer der in § 110 Abs 3 StPO aufgezählten Gründe gegeben, die die Kriminalpolizei allenfalls selbst ermächtigen, hat eine Sicherstellung über Anordnung der Staatsanwaltschaft zu erfolgen. Diese Anordnung hat grds schriftlich zu ergehen. Das Objekt der Sicherstellung ist genau zu bezeichnen, damit für die Betroffenen klar ersichtlich ist, was umzusetzen ist. Im Übrigen hat die Anordnung Ausführungen zur Erforderlichkeit der Sicherstellung und zur Relevanz der sicherzustellenden Werte zu enthalten.

In der StPO ist legistisch generell die Rede von „Gegenständen“, was in der Judikatur und Lehre mittlerweile einhellig auf Forderungen (also auch Kontoguthaben) ausgedehnt wird.

Sicherstellungen von Bankguthaben und sonstigen Forderungen erfolgen nach § 109 Z 1 lit b, § 110 Abs 2 StPO durch Herausgabe-, Veräußerungs- und Verpfändungsverbote (Drittverbote) und nicht etwa nach § 114 StPO. Aus Kommentarstellen ergibt sich, dass die Lehre davon ausgeht, dass nach der staatsanwaltschaftlichen Anordnung meist eine gerichtliche Beschlagnahme gem § 115 StPO nachfolgen würde. In der Praxis ist das aber nicht immer der Fall. Die Sicherstellungsanordnung tritt nach dem gegenwärtigen System (worüber man verfassungsrechtlich trefflich nachdenken könnte) aber nicht außer Kraft und gilt bis zu weiteren staatsanwaltschaftlichen/gerichtlichen Verfügungen.

Die inländischen Banken führen die zur Umsetzung gebotenen „Sperren“, soweit überschaubar, schnell und zuverlässig durch, wobei dies mit § 62 ZaDiG explizit vereinbar ist.

B. Wertungswiderspruch zum Bankgeheimnis

Aus § 38 BWG und § 116 StPO ergibt sich, dass Auskünfte der Bank auch im Ermittlungsverfahren nur dann zulässig seien, nachdem zuvor eine gerichtliche Anordnung und Bewilligung der Auskunftserteilung erfolgt sei.

Im Ergebnis heißt das, dass die Banken ohne eine derartige zusätzliche Anordnung des Gerichts (erfolgt in der Praxis kaum zeitgleich) der Staatsanwaltschaft nur über den (teilweisen) Vollzug der Sicherstellung berichten dürfen, aber nicht einmal ziffernmäßig darüber, dass ein höherer oder geringerer Betrag am Konto erliegt/gesperrt wurde als angeordnet. Dies beeinträchtigt eine vernünftige Kommunikation zwischen den Banken und Staatsanwaltschaften. De lege ferenda wäre hier eine Klarstellung sinnvoll, die den Banken die Offenlegung der Kontoguthaben/Sperrbeträge durch eine Sicherstellung und Beschlagnahme auch ohne gerichtliche Auskunftsanordnung ermöglicht.

C. Zweck und Rechtsschutzsystem

Die Anordnungen dienen zur Sicherstellung privatrechtlicher Ansprüche oder zur Sicherstellung der Konfiskation (§ 19 a StGB), des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20 b StGB), der Einziehung (§ 26 StGB) oder anderer gerichtlich vorgesehener vermögensrechtlicher Anordnungen (z. B. § 17 FinStrG).

Die „Kontosperre“ selbst ist in der bankenrechtlichen Praxis selten problematisch, sehr wohl aber der nächste Schritt. In der Folge geschieht es im Laufe des Ermittlungsverfahrens regelmäßig, dass die Staatsanwaltschaft das kontoführende Bankinstitut mittels einer weiteren Anordnung anweist, das Kontoguthaben bei gleichzeitiger Aufhebung der Sicherstellung an (angeblich) Geschädigte zu überweisen. Die Rechtsgrundlage derartiger Verfügungen der Staatsanwaltschaft liege in § 367 Abs 2 StPO, wobei diese Bestimmung per analogiam auch auf Giralgeld anzuwenden sei.

Dies wirft interessante Rechtsfragen auf (dazu sogleich), zumal viele betroffene Konten „fiktiv“ sind (also von Straftätern mit gefälschten Ausweisen oÄ eröffnet wurden und der wahre Kontoinhaber gar nicht bekannt ist) oder der Kontoinhaber zwar bekannt, aber nicht greifbar ist (z. B. keine Zustelladresse bekannt, auf der Flucht befindlich).

Wer sich durch Anordnungen (aller Art) der Staatsanwaltschaft beschwert erachtet, hat im Ermittlungsverfahren den binnen sechs Wochen zu behändigenden Rechtsbehelf des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO an das LG und dann das Rechtsmittel der Beschwerde an das OLG, wo der Rechtszug endet.

Es müssen nach Zustellung der Anordnung also die Einspruchsfrist (sechs Wochen) und ein eingeleitetes Einspruchsverfahren abgewartet werden, ansonsten das Rechtsschutzsystem keinen Sinn entfalten würde.

D. Rechtsmittellegitimation der Bank?

Wenn die Bank einen vorsichtigen Standpunkt einnimmt, ist sie auf Basis der mit ihren KundInnen getroffenen Kontoführungsvereinbarungen allenfalls dazu verhalten, Rechtsmittel gegen die Verfügungsanordnung der Staatsanwaltschaft zu erheben, zumal dann, wenn sich der Kontoinhaber, aus welchen Gründen auch immer, selbst nicht wehren kann.

Das OLG Wien hat in – soweit überschaubar – zumindest einer E der Bank die Rechtsmittellegitimation in derartigen Fällen pauschal abgesprochen. Die Bank argumentierte, dass das rechtliche Gehör des, wenn auch beschuldigten, Kontoinhabers verletzt worden sei (gem § 367 Abs 2 StPO sei die Anhörung des Beschuldigten ausdrücklich vorgesehen); es gehe hier um vermögensrechtliche Ansprüche, über die nicht einfach nach Gutdünken der Staatsanwaltschaft ohne Anhörung des Kontoinhabers verfügt werden könne, und es gelte verfassungsrechtlich die Unschuldsvermutung (Art 6 EMRK), da der Beschuldigte ja noch nicht verurteilt sei. Die Bank hafte ihren Kunden insb nach § 67 ZaDiG. Das OLG Wien argumentierte dazu formalistisch und führte aus, dass die rechtsmittelwerbende Bank damit weder eine sie unmittelbar betreffende Rechtsverletzung nach Anordnungen der Ausübung von Zwang noch die Verletzung eines subjektiven Rechts in diesem Sinne anspreche, sondern nur mögliche, in der Sphäre des Beschuldigten liegende Rechtsverletzungen aufzeige, die nur von diesem selbst geltend gemacht werden könnten. Da eine Sicherstellungsanordnung die Geltendmachung in einem nachfolgenden Zivilprozess nicht hindere, bestehe kein Rechtsschutzdefizit im Strafverfahren. Diese Ausführungen überzeugen bereits logisch nicht: Im Sinne eines Zirkelschlusses solle sich ein Beschuldigter selbst wehren, der aber am Verfahren gar nicht beteiligt ist. Selbst wenn man bei der „Rechtmäßigkeitsprüfung“ nach § 106 StPO nur die Voraussetzungen und Bedingungen der Zwangsanordnung nach der StPO und nichts anderes prüfen will (was so wohl nicht haltbar ist – dazu sogleich ausführlicher unten, unter Verweis auf eine andere Entscheidung des OLG Wien), ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung direkt gegen die Bank wirkt, die auch deren Adressat ist(!), ansonsten sie die Kontoverfügung ja nicht durchführen müsste. Ihr drohen die Sanktionen der Zwangsdurchsetzung und es kann wohl kaum argumentiert werden, dass sich die Bank erst bei Anwendung direkten Zwangs gegen sie mittels Einspruchs wehren dürfe, zumal die Verfügungsanordnung dann nicht mehr durch sie anfechtbar ist.

Das OLG Wien ging auch über die Argumentation hinweg, dass die Staatsanwaltschaft in concreto über ein vom Gericht beschlagnahmtes Bankguthaben disponierte, was verfassungsrechtlich nicht durchdacht ist.

E. Kein Rechtsanspruch des Opfers auf staatsanwaltliche Verfügung

In der E 21 Bs 352/21 z führt das OLG Wien zum umgekehrten Fall (das Opfer will bereits im Ermittlungsverfahren sichergestelltes/beschlagnahmtes Giralgeld zurück), anders als der Senat in der eben abgehandelten E 22 Bs 14/21 a, aus wie folgt: Ein rechtswidriger Eingriff iSd § 106 StPO könne nicht nur durch Anordnung oder unmittelbare Ausübung von Zwang selbst entstehen, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung. Die Bestimmung beziehe sich nicht nur auf die ausdrücklich als Rechte titulierten Bestimmungen der StPO, sondern auch auf Vorschriften, deren Sinn und Zweck zeigen, dass der Betroffene an der Einhaltung ebendieser Vorschriften ein berechtigtes Interesse habe. Zu beachten sei, dass über den in § 5 Abs 1 StPO normierten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Strafverfahrens fallbezogen auch Verletzungen von in der EMRK garantierten Grundrechten mittels Einspruchs geltend gemacht werden könnten. Diesen Ausführungen ist zuzustimmen und ist daraus mE auch ein Einspruchsrecht des kontoführenden Instituts ableitbar.

Ein subjektives Recht auf Rückerlangung eines betrügerisch herausgelockten Bankguthabens (aus Opfersicht) folge daraus freilich nicht. Die Beendigung einer Zwangsmaßnahme habe schlicht einen „actus contrarius“ darzustellen. Dieser erschöpfe sich bei einem ausgesprochenen Drittverbot in der Freigabe der Forderung, nicht aber etwa in einer „Rücküberweisung“. Eine
„Überweisung“ sei weder in der Strafprozessordnung noch in den subsidiär anwendbaren Bestimmungen der Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen vorgesehen.

F. Zusammenfassung der Judikatur

Aus den in den Begründungen teilweise widerstreitenden Ausführungen des OLG Wien kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die Staatsanwaltschaft keine Kontoverfügungen (etwa iS einer Rücküberweisung auf ein Opferkonto) tätigen müsse, dies aber, zumindest nach Ansicht einzelner Senate des OLG Wien, anordnen dürfe. Wenn man zur Begründung der zweiten Rechtsansicht § 367 Abs 2 StPO heranziehen will, kann mE nicht ausgeklammert werden, dass der Beschuldigte nach dem Gesetzeswortlaut zwingend zu hören ist. Sollte die Äußerungsaufforderung bzw. Anordnung an den Beschuldigten nicht zugestellt werden können (weil dieser unbekannt oder unbekannten Aufenthalts ist), scheidet wohl eine Verfügungsmacht der Staatsanwaltschaft aus. Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft hat das Recht und die Pflicht, beschlagnahmtes oder sichergestelltes Gut vor Verlust zu schützen, nicht aber darüber vermögensrechtlich zu verfügen. Was mit dem „entsperrten“ Kontoguthaben in weiterer Folge zu geschehen hat, muss im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geklärt werden (die Bank wird bei Vorhandensein mehrerer Forderungsprätendenten ohnehin vorsichtshalber gerichtlich hinterlegen; das Opfer hat uneingeschränkt sowohl zivil- als auch exekutionsrechtlichen Behelfe).

Schlussstrich

Die gegenwärtige Normenstruktur der StPO ist für Wirtschaftsdelikte und Kontoanordnungen nicht „zukunftsfit“. Zudem ist die Judikatur nicht einheitlich und lässt teilweise Kontoverfügungen durch die Staatsanwaltschaft ohne Beschuldigtengehör zu. De lege ferenda sollten für vermögensrechtliche Verfügungen im Ermittlungsverfahren, verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gerichte zuständig sein.

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